Mittwoch, 21. August 2013

Lech dl Dragon (Drachensee)


Keiner weiß, wie viele Geheimnisse die Sellagruppe birgt.
Hier wollen wir aber eines davon lüften und von einer ganz besonderen, wunderbaren Route erzählen, die man in keinem Wanderführer findet.



Der Aufstieg beginnt über die Kiesgrube oberhalb von Plan de Gralba, entlang eines alten Hirtenpfads, in Richtung der Geröllhalden unter der Sella, bis wir die Murfreit- Türme hinter uns lassen, die über unsere Schritte zu wachen scheinen. An die Stelle von edelweißbedeckten Wiesen tritt nun eine Geröllhalde unter gelben Felswänden. Wir genießen den majestätischen Anblick und das einmalige Panorama: Col Rodella, LangkofelGeislerspitzenund Stevia.
Nach weiteren zwei anstrengenden, aber befriedigenden Stunden erreichen wir einen Durchgang zwischen porösen grauen Felsen, wo uns die nächste grandiose Aussicht erwartet: Puez, Kreuzkofel und Tofane. Diese Hochebene gleicht einer Mondlandschaft; ihre riesigen weißen Steine bewegen sich unter unserem Gewicht, da sie ein Geheimnis bergen: In der Tiefe unter ihnen befindet sich ein kleiner Gletscher! Wobei „klein“ vielleicht untertrieben ist, wenn man bedenkt, dass er 40 Meter dick sein soll. Dies ist allerdings von außen nicht erkennbar, da der Gletscher vom Erosionsgeröll der darüber liegenden Felsen bedeckt ist.
In der Ferne erblicken wir schon das nächste Geheimnis, nämlich den sagenumwobenen, geheimnisvollen Lech dl Dragon, der seinen ladinischen Namen einer Sage verdankt.
Sie erzählt von einem Drachen, der diesen See bewohnte und nur nachts und bei Vollmond verließ. Sein Geheul war bis zum Grödner Joch, und manchmal sogar bis zur Mastlé-Hütte zu hören! Nach etwa einer halben Stunde, in der wir von einem wackligen Stein zum nächsten springen, erscheint uns der See wie eine Fata Morgana in der Wüste. Er ist über 100 Meter lang und schimmert in hellem Türkis, der Farbe der Gletscherseen. Manchmal fällt ein Felsblock vom oberen Ufer, von der gegenüberliegenden Seite löst sich ein anderer und fällt mit einem dumpfen Plumps ins Wasser. Die Oberfläche spiegelt die umliegenden Berge, und ein kleiner, schillernder Wasserfall durchquert den Schnee. Es scheint, dass sich dieser See nicht jedes Jahr bildet, je nach Klima und Permafrostboden.
Die Geologen und Wissenschaftler des Amtes für Geologie der Provinz Bozen sind in letzter Zeit auf die Megalodonten (Fossilien von Muscheltieren) aufmerksam geworden, die in dieser Gegend gefunden wurden. Anhand von Grabungen wird nun der Permafrostboden untersucht, um zu bestimmen, in welchem Erdzeitalter der Gletscher gebildet wurde. All diese Studien erfolgen im Rahmen des interregionalen Projekts „Permaqua“ zur Untersuchung der Gewässerökologie im Hochgebirge. In der Nähe des Sees befindet sich auch eine Höhle, deren Wände und Decke aus reinem Eis bestehen, mit einem schwarzen Stollen der wer weiß wohin führt! Nach zweistündigem Abstieg durch die Val Culea erreichen wir das Grödner Joch und gelangen an das Ende dieser wundervollen, unvergesslichen Wanderung.

Aus dem Val Gardena Magazine ~ Ausgabe Januar 2013 Nr. 15 - Year 14

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